Die meisten Kuba-Touristen landen entweder im Urlaubsparadies von Varadero oder in der quirligen Metropole Havanna. Und in der kubanischen Hauptstadt ist der weltberühmte Schriftsteller Ernest Hemingway auch 60 Jahren nach seinem Tod weiterhin allgegenwärtig. Aber warum ist das so? Wolfgang Stock, Gründer, Autor und Macher von Hemingways Welt ist dem bärtigen Nobelpreisträger schon länger auf der Spur.

Auf den Spuren Ernest Hemingways in Havanna

Wer Havanna besucht, trifft an jeder Ecke auf Spuren des US-Amerikaners. Ein Steinwurf vom Gran Teatro de la Habana befindet sich am nordwestlichen Ende der Obispo die wohl bekannteste Cocktailbar der Stadt. Im El Floridita sitzt eine Skulptur des berühmten Gastes auf einem Hocker am Tresen. Schon 1953 zählte das „Floridita“ zu den sieben berühmtesten Bars der Welt, in der Ernest Hemingway regelmäßig seine Daiquiris trank.

Allerdings war die Bar La Bodeguita del Medio die eigentliche Stammkneipe des trinkfesten Schriftstellers und Literatur-Nobelpreisträgers und ist heute Pilgerstätte vieler Touristen. Heute ist es Kult sich auf einer der Wände der winkeligen Bar zu verewigen.

Das Bodeguita del Medio ist heute eine Pilgerstätte

Das Bodeguita del Medio ist heute eine Pilgerstätte (Foto: Casa Particular 1902)

Auf halbem Weg zwischen Floridita und Bodeguita del Medio liegt das Hotel Ambos Mundos, das seinen legendären Ruf nicht seiner Ausstattung oder außergewöhnlicher Serviceleistungen verdankt. Sondern Ernest Hemingway macht dieses Hotel in Havanna heute so berühmt, in welchem er ab 1930 für fast zehn Jahre lebte. Sein Zimmer mit der Nummer 511 wurde übrigens nie wieder vermietet und ist heute ein Museum.

Im Hotel Ambos Mundos lebte Hemingway von 1930 bis 1939

Im Hotel Ambos Mundos lebte Hemingway von 1930 bis 1939 (Foto: Casa Particular 1902)

Recht beschaulich geht es im sechs Kilometer entfernten Vorort Cojímar zu. Das kleine Fischerdorf erlangte ebenfalls durch Ernest Hemingway Berühmtheit. Hier lag sein Yacht „Pilar“ vor Anker und die Fischer des kleinen Ortes inspirierten ihn zu seinem wohl bekanntesten Werk „Der alte Mann und das Meer“. Gegenüber der kleinen Festung am Meer setzten die Bewohner Cojimars ihm zu Ehren 1962 ein Denkmal. Denn auch in den Stunden seines größten Erfolgs lies er die Fischer nicht im Stich und nahm sie 1954 anlässlich seines Literatur-Nobelpreises mit zu einer Feier in die größte Brauerei Kubas.

Hemingway Denkmal in Cojímar

Hemingway Denkmal in Cojímar (Foto: Casa Particular 1902)

Im Havannas Stadtteil San Fransisco liegt die Finca Vigía, in der Ernest Hemingway von 1939 bis 1960 lebte. Ein Besuch des Museums lohnt sich in jedem Fall, denn an der Einrichtung des Hauses wurde seitdem nichts verändert. Wer mehr über die Finca Vigía erfahren möchte, dem sei die (nicht-staatliche) Seite Hemingwayhavana empfohlen, die inzwischen als Referenz gilt und über die man Touren buchen kann.

Wie der Ernest Hemingway Kult auf Kuba entstand

von Wolfgang Stock

Die Zeit auf der Finca Vigía in San Francisco de Paula, seinem privaten Paradies, wie er jedem Besucher zu sagen pflegt, gehört zu den glücklichsten Zeiten von Ernest Hemingway auf Kuba. Nach Paris war es wahrscheinlich die glücklichste Zeit in seinem Leben. Für seine letzten beiden Jahre ist der Nobelpreisträger dann in die USA zurückgekehrt, nach Ketchum, in die Berge Idahos, es hat vornehmlich medizinische Gründe. Ernest hat körperlich und mental abgebaut, das Ende naht, und Ehefrau Miss Mary will, dass er in den USA behandelt wird.

Nach seiner Selbsttötung im Juli 1961 gerät Ernest Hemingway auf Kuba mehr oder weniger in Vergessenheit. Die Insulaner kämpfen an anderen Fronten, russische Raketen, Söldnerinvasionen, Wirtschaftsembargo und Machtkämpfe innerhalb des Regimes. Das tagtägliche Ringen ums Überleben ist für die Kubaner eh beschwerlich genug. So verfällt über die Jahre die Finca Vigía, die Erinnerung an Don Ernesto verblasst.

Erst Mitte der 1980er Jahre rückt Ernest Hemingway auf Kuba wieder ins öffentliche Bewusstsein. Norberto Fuentes, zu diesem Zeitpunkt ein junger Schriftsteller mit Nähe zu den Castristen, publiziert eine detailgenau recherchierte Chronik der kubanischen Jahre des US-amerikanischen Nobelpreisträgers. Sein Buch Hemingway en Cuba wird zum internationalen Bestseller.

Norberto Fuentes Fleißarbeit von über 700 Seiten markiert den Beginn einer Renaissance des Ernest Hemingways auf Kuba. Die Finca Vigía wird jahrelang renoviert und zum Museum ausgebaut. Ihr Inventar – Hunderte Manuskriptseiten, 9.000 Bücher, unzählige Fotos und Dokumente – wird mit Hilfe von US-Universitäten gründlich katalogisiert und digitalisiert. Wissenschaftliche Symposien werden regelmäßig in Havanna abgehalten. Zart werden Verbindungen zwischen kubanischen und US-amerikanischen Institutionen geknüpft.

Ernest Hemingway 1953 im Haus der Finca Vigía

Ernest Hemingway 1953 im Haus der Finca Vigía (Foto: Ernest Hemingway Photograph Collection, John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston)

Die Kultur – neben Ernest Hemingway übrigens auch die Musik, in Gestalt von Dizzy Gillespie über Chucho Valdés bis zu den alten Knaben des Buena Vista Social Clubs – sorgt dafür, was die Politik nicht hinbekommt. Eine neue Milde zieht auf im kalten Krieg zwischen den verfeindeten Nachbarn. Trotz Wirtschaftsboykott und Sanktionen lässt die Kultur in jenen Jahren des Ronald Reagan das Einfallstor für Verständigung und Zusammenarbeit nun einen Spalt weit offen.

Die kubanische Tourismusagentur spielt den Joker Hemingway. Ab jenen Jahren begegnet man dem US-Amerikaner an jeder Ecke in Havanna. Im El Floridita, im Ambos Mundos, in der Bodeguita del Medio, in San Francisco de Paula oder in Cojímar. Ein Hafen wird auf Kuba nach Ernest Hemingway benannt, auch ein Angelwettbewerb, Daiquirí-Drinks ohnehin. So putzmunter wie ab den 1990er Jahren ist Ernest Hemingway auf Kuba zu Lebzeiten nie gewesen.

Cojímar inspirierte Ernest Hemingway zu "Der alte Mann und das Meer"

Cojímar inspirierte Ernest Hemingway zu „Der alte Mann und das Meer“ (Foto: Casa Particular 1902)

Während der Nobelpreisträger friedlich auf dem Friedhof von Ketchum in den Rocky Mountains ruht, erkennt der schlaue Fidel Castro in Havanna, wie nützlich El Americano dem revolutionären Regime sein kann. Ab Mitte der 1980er Jahre hat Castro sein klammes Land behutsam dem devisenstarken Tourismus geöffnet. Ernest Hemingway dient dabei als Zugpferd, Spanien und Kanada investieren massiv in die touristische Infrastruktur der Insel. Der US-Nobelpreisträger wird sozusagen als eine vertrauensbildende Klammer benutzt bei dieser Öffnung gen Kapitalismus.

Zugleich will Fidel Castro mit der Verehrung Hemingways eine versteckte Botschaft an die USA und ihre verschreckten Bürger schicken. So schlimm, so die Intention des bärtigen Máximo Líder, kann unser Sozialismus doch nicht sein, wenn wir euren größten Schriftsteller so verehren. Und er – der große Hemingway – hat ja uns Kubaner ebenfalls gemocht.

Das El Floridita in Havanna lebt den Ernest Hemingway Kult

Das El Floridita in Havanna lebt den Ernest Hemingway Kult (Foto: Casa Particular 1902)

Fidel Castros Kalkül geht voll auf. Nordamerikanische und europäische Touristen reisen in Scharen an und werden verzückt von dem Kommunismus unter tropischen Palmen. Ein paar doppelte Daiquirís im El Floridita erledigen den Rest. Und flugs ist der große Ernest Hemingway auf Kuba mehr als ein Schriftsteller, der Gringo aus Chicago avanciert zur Person der Zeitgeschichte.

In den neoliberalen 1980er Jahren lässt sich historisch eine Zeitspanne ausmachen, in der Ernest Hemingway die vielleicht letzte sichtbare Brücke zwischen beiden ideologisch so verfeindeten Staaten gebildet hat. Der tote Nobelpreisträger ist aus diesem Grunde noch heute in Havanna überpräsent und diese Aufmerksamkeit ist politisch gewollt.

Hemingway mit seiner Familie in den Docks von Bimini am 20. Jul 1935.

Hemingway mit seiner Familie in den Docks von Bimini am 20. Jul 1935 (Foto: Ernest Hemingway Collection/John F. Kennedy Presidential Library, Boston.)

Es gibt allerdings noch einen anderen Grund, weshalb der bärtige US-Amerikaner auf der Insel so bewundert wird. Die Kubaner, insbesondere die normalen Menschen, sie mögen ihn einfach, ihren Don Ernesto. Die Fischer aus Cojímar, die kleinen Händler in der Altstadt, die Taxifahrer in Havanna, die Privatvermieter der Casas Particulares, sie alle verehren ihn wirklich, von Herzen, als einer der ihren.

 

Auf seinen Blog Hemingways Welt – An den Fersen von Ernest Hemingway widmet sich Wolfgang Stock intensiv mit dem Leben des berühmten Schriftstellers.